Geschichte

150 Jahre Turnverein 1846 e. V. Alzey

von

HEINZ ROHSCHÜRMANN

Viele, wohl die meisten Vereine hierzulande sind entstanden oder entstehen einzig und allein aus der Erkenntnis und dem Bemühen heraus, ein gemeinsames Interesse oder Anliegen auf der Basis des Zusammenschlusses Gleichgesinnter sinn- und wirkungsvoller zu verfolgen. Eine Ausnahme machten da die Arbeitervereine, die vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gebildet wurden.

Hier fanden sich Menschen zusammen, die ihrer Herkunft oder ihres Standes wegen in bestehende Vereine nicht aufgenommen wurden oder dort nicht gerne gesehen waren.

Eine eigene Stellung aber nehmen von Anbeginn ihres ersten Erscheinens zu Beginn des 19. Jahrhunderts an die Turnvereine ein. Abgesehen von den Vereinigungen, die grundsätzlich und ausschließlich politisch orientiert waren, gibt es keine andere Gruppierung innerhalb der breitgefächerten Skala des Vereinswesens, die so eng mit dem politischen Alltagsgeschehen verwoben war, wie die der Turnvereine. Das war sogar in aller Regel eine gewollte Verflechtung zwischen Politik und Turnen, getragen von Persönlichkeiten, die sich ihrem Lande und seinen Leuten als Patrioten verpflichtet fühlten. Die Turnsache selbst sollte dies im Laufe ihrer Geschichte bis in unsere Zeit hinein des öfteren zum Verhängnis werden, und Rückschläge waren ihre ständigen Wegbegleiter; zerschlagen aber wurde die vor nunmehr bald 200 Jahren geborene Idee nie.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstand die Turnbewegung in Deutschland. Sie orientierte sich an den aufgeklärten Ideen der Philanthropen. Liberalismus und bürgerlicher Nationalismus bestimmten die gesellschaftliche und politische Programmatik der Turnführer, deren Hauptziel die Beseitigung der napoleonischen Herrschaft und die Überwindung der Kleinstaaterei war. Die starke gemeinschaftsorientierte Bindung der Turner galt als Vorbild und Vorstufe der staatlichen Einheit und beanspruchte das einzelne Mitglied der Turngemeinde im Dienste des Ganzen. Leistungs- und Konkurrenzdenken wurden gemieden, um einzelne nicht hervortreten zu lassen (Massenwettkämpfe, Massensiegerehrungen).

Nach Aufhebung der Turnsperre in Preußen (1819 – 1842) kam es zur schnellen Verbreitung des Turnens in Schulen, Vereinen und Burschenschaften. Turnkleidung, Turnerfahne, Turnerwahlspruch waren von besonderer Bedeutung in dem Bestreben, Gemeinschaftlichkeit, Gleichheit und vaterländische Gesinnung zum Ausdruck zu bringen.

Das Erste größere Turnfest in Deutschland wurde 1841 in Frankfurt am Main ausgerichtet. Die gesamte deutsche Turnerschaft traf sich zum 1. Mai 1860 in Coburg. Seit 1868 bestand die Deutsche Turnerschaft, von der sich 1893 eine proletarische Richtung (Arbeiter- Turn- und Sportbewegung) abspaltete. Die fortwährenden Auseinandersetzungen zwischen der Deutschen Turnerschaft und den Sportverbänden, vor allem über die Ausrichtung von Wettkämpfen, führte 1924 zur reinlichen Scheidung von Turnen und Sport sowie zum Austritt der Deutschen Turnerschaft aus dem Deutschen Reichsausschuß für Leibesübungen (1925). Von 1933 – 1945 war die Deutsche Turnerschaft nach ihrer Auflösung in den Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen eingegliedert. 1950 wurde der Deutsche Turnerbund in Frankfurt am Main für die Bundesrepublik Deutschland wiedergegründet. In der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik erfolgte dies 1958 in Ostberlin unter dem Namen Deutscher Turn-Verband. Nach der Wiedervereinigung 1990 wurden beide Turnverbände wieder zusammengeführt.

Im Jahre 1846 wurden in Rheinhessen die Turnvereine in Mainz-Bretzenheim, Mainz-Weisenau, Bingen, Oppenheim, Worms und Alzey gegründet. Leider kennen wir die Namen der Gründer des „Turnvereins“, wie der Verein damals hieß, nicht. Uns liegt eine Kopie aus dem „Intelligenzblatt für den Kreis Alzey“ No. 30 vom Sonntag, 26. 7. 1846 (Original: Stadtbibliothek Mainz) vor:

 

» Für Turner und Freunde der Turnkunst

Wie sich voraussehen ließ, hat die Sache der Turnkunst ziemlichen Anklang gefunden und ist dieselbe bereits soweit gediehen, dass die nötigen Vorarbeiten gemacht werden konnten und an der wirklichen Gestaltung des Vereins nicht mehr zu zweifeln ist. Auch sind bereits die erforderlichen Schritte mit Einreichung der Statuten bei der höheren Behörde getan um dem Verein die Erlaubnis zu erwirken.

In Folge dieser bis jetzt gemachten Bestrebungen finden wir uns veranlasst, alle Diejenigen, welche sich betheiligen wollen, Turner, Freunde und Förderer der Turnkunst einzuladen, sich heute

SONNTAG den 26. Juli, um 4 Uhr im Garten des Gastwirts Herrn Lang einfinden zu wollen, um der Sache weitern Fortgang geben zu können.

Der prov. Vorstand. «

 

Doch 1848 sollte wieder von Frankreich aus eine Revolutionswelle über weite Teile Europas hinweggehen. Im März jenen Jahres kam es in fast allen größeren Städten zu zum Teil von Gewalt geprägten Demonstrationen der Bürger, Akademiker, Studenten, Bauern und Arbeiter. Wieder zielten ihre Forderungen auf eine konstitutionelle Monarchie oder eine Republik hin und auf die Ablösung der Kleinstaaterei durch einen deutschen Nationalstaat. Da auch die Alzeyer Turner sich daran beteiligten, wurde die Turngemeinde wie alle anderen Turnvereine aufgelöst und alle Urkunden vernichtet. Es gelang jedoch die Vereinsfahne zu retten, die wie viele Fahnen deutscher Vereine in die Schweiz gebracht und im Baseler Kanal verborgen wurde.

Dr. Heinrich Weifenbach und H. Th. Simon erweckten in Alzey mit einigen gleichgesinnten Männern die Turnbewegung wieder und am 10. August 1861 wurde der Verein neu gegründet. Einen Tag später feierten die Alzeyer Turner in der Öffentlichkeit den 50-jährigen Gedenktag der Eröffnung des ersten Turnplatzes in der Hasenheide bei Berlin durch Friedrich Ludwig Jahn und zugleich dessen 83. Geburtstag. Diese Veranstaltung schien auf die Alzeyer Bürger großen Eindruck gemacht zu haben, denn bereits am Ende des Jahres 1861 zählte der Verein 125 Mitglieder. Die Fahne der Turngemeinde 1846 wurde übernommen und wieder hergerichtet. Ihre zweite Weihe fand am 20. Oktober 1861 unter Beteiligung einer Anzahl benachbarter Vereine statt. Besonderer Wert wurde nun auf die Heranbildung des Nachwuchses gelegt. Beim „Zöglings‑Wetturnen“ am 19. Juli 1863 wurde eine besondere Zöglingsfahne geweiht, die von den Frauen und Mädchen des Vereins in Handarbeit angefertigt worden war und ebenso wie die erste Fahne von 1848 noch vorhanden ist und mit vielerlei Urkunden, Pokalen und Erinnerungsstücken während der Festwoche öffentlich ausgestellt wurden.

Leider wurde diese erfreuliche Aufwärtsentwicklung durch die Kriege von 1864 und 1866 jäh unterbrochen. Die Arbeit in den Turnvereinen ließ nach, da immer mehr Turner zum Wehrdienst eingezogen wurden und im Jahre 1866 musste auch der Alzeyer Turnverein seine Tätigkeit einstellen. Erst nach dem Kriege von 1870 / 71 fanden sich die Turner wieder nach und nach zusammen. Im Jahre 1878 warben die Mitglieder des noch bestehenden Vereins junge Turner und am Ende des Jahres zählte der Verein wieder 72 Mitglieder. Es wurde nun eifrig geturnt und bereits 1879 konnte der Alzeyer Turnverein vom Gauturnfest in Kostheim mit einem Preis zurückkehren. Der Verein, der zum 5. Gau Rheinhessen des 9. Kreises Mittelrhein der Deutschen Turnerschaft gehörte, entwickelte sich so gut, dass er im Jahre 1883 das 1. Gauturnfest in Alzey übernehmen und durchführen konnte. Es fand auf dem Obermarkt als Fest- und Turnplatz statt, der durch Abriegelung der Zufahrtstraßen leicht abzusperren war. Die Alzeyer Bevölkerung nahm an den turnerischen Übungen regen Anteil. Dies spornte die Turnbrüder stark an und sie entwickelten etliche Initiativen um das Gemeinschaftsleben zu intensivieren. So wurden die „Närrischen Turnbrüder“ gegründet, die in den 90er Jahren mit großem Erfolg durch Sitzungen und Bälle an die Öffentlichkeit traten.

1898 unternahmen die Turnwarte Adam Mandel, der schon seit 1893 als 1. Bezirksturnwart des 3. Bezirks Alzey tätig war, und Emil Liebmann, einer der besten Turner des Vereins, den Versuch, eine „Damen-Abteilung“ zu gründen.

In der Folgezeit nahm das Turnen in Alzey einen erfreulichen Aufschwung. Beim Deutschen Turnfest in Frankfurt 1908 wurde auch eine Vereinsriege des Alzeyer Turnvereins gezeigt, die mit „lobenswertem Eifer“ bewertet wurde. Anton Berghof, der jahrelang zu den zehn besten Turnern des Gaues gehörte, wurde 1907 1. Bezirksturnwart und erwarb sich über den Verein hinaus besondere Verdienste um den Aufbau des Turnens im 3. Bezirk Alzey. Er erhielt höchste Auszeichnungen und Ehrungen der Deutschen Turnerschaft.

Im Jahre 1909 fand das 2. Gauturnfest in Alzey statt, das alle vorhergehenden Feste weit übertraf. Über 1200 Wettkämpfer und mehr als 80 Vereins- und Musterriegen traten zum Wettkampf an. Ein Festzug von 5.000 Turnern und über 100 Fahnen führte durch die Stadt. Und wenn wir heute nachlesen können, dass mehr als 14.200 Fahrkarten bei der Eisenbahn verkauft wurden und an die vielen Festteilnehmer denken, die mit Pferd und Wagen oder zu Fuß in die Stadt kamen, so können wir wohl von einer Besucherzahl von 20.000 sprechen.

Der Festplatz war an der Nibelungenstraße und Gartenstraße bis zum Schlachthof. Er war eingezäunt und so als Mauerwerk bemalt, als ob es sich um eine Fortsetzung des alten Schlosses handelte. Das Fest selbst nahm einen glänzenden Verlauf. Ganz Alzey war eine große Turnerfamilie. Von allen Seiten erhielten die Alzeyer großes Lob. Karl Schill, der Vertreter des Turngaues lobte: „Wenn sich in Zukunft wieder ein Ort zur Übernahme des Rheinhessischen Turnfestes meldet, so wird man ihnen sagen müssen, gehet nach Alzey und erkundigt euch und macht es so, wie es die Alzeyer gemacht haben.“

Im Jahre 1910 wurde das Schülerturnen eingeführt. Zwei Abteilungen von 10-12 und 13-14 jährigen Jungen turnten unter Leitung von Anton Berghof und Rudi Seitz.

Eine Anzeige aus der „Alzeyer Zeitung“ vom 11. 8. 1910 macht auf ein Zöglingswetturnen und Gartenfest am 14. 8. 1910 aufmerksam. Bei diesem Gartenfest wurde unter anderem der „Alzeyer Turnermarsch“ von dem Alzeyer Mundartdichter Franz Kampe zu Gehör gebracht.

In der „Alzeyer Zeitung“ vom 23. 8. 1910 wird von den schönen Erfolgen beim Landeskronfest in Oppenheim berichtet.

Durch die Größe des Turnbetriebes und die erzielten Wettkampferfolge bei Kreis- und Gauturnfesten kann diese Zeit vor dem Ersten Weltkrieg als ein Höhepunkt in der Geschichte des Turnvereins bezeichnet werden.

Der Erste Weltkrieg unterbrach dann diese blühende Entwicklung. Durch Einziehung der wehrfähigen Turner wurde der Turnbetrieb zunächst eingestellt. Man versuchte, während des Krieges die schulentlassene Jugend zu sammeln und hielt für sie Zöglingsturnen ab. Der Verein war damals sogar in der Lage, 12.000 Mark Kriegsanleihe zu zeichnen.

Als nach dem Krieg französische Truppen Rheinhessen besetzten, wurde das Turnen verboten. Doch schon am 20. August 1919 fand die erste Turnstunde im Saal der Gaststätte „12 Apostel“ statt, da die Turnhalle der Löwenschule noch für andere Zwecke benutzt wurde. Der Besuch war noch sehr gering und erst allmählich fanden sich wieder die Turner zusammen. Der noch seit 1914 im Amt befindliche Vorstand lud zu einer Generalversammlung in der „Goldenen Kette“ ein, um die Lage des Vereins zu besprechen. Man beschloss, im Januar 1920 eine Neuwahl des Vorstandes vorzunehmen und den Verein allen Widerständen zum Trotz neuem Leben entgegenzuführen.

Vor allem wurde jetzt der Wunsch nach einem eigenen Turn- und Spielplatz sowie nach einer eigenen Turnhalle laut. Das Vereinsvermögen betrug am 1. Januar 1920 noch ungefähr 38.000 Mark. Die Turnstunden fanden zuerst in der primitiven Fasshalle der „Goldenen Kette“, später in den Räumen der früheren Wollweberei statt. Seit Mitte der 90er Jahre stand den Turnern der Saalbau-Hof mit Erlaubnis des damaligen Besitzers zur Verfügung. Anton Berghof, der 1897 als Zögling in den Verein eintrat, berichtete, dass auf einem etwa vier Meter breiten Geländestreifen hinter der Löwenschul-Turnhalle und der Mauer des alten Kreisamtsgebäudes geübt wurde.

Dieser Platz zwischen der Turnhalle und der rauhen Steinmauer war denkbar ungeeignet. 1906 stellte dann Anton Berghof als Zeugwart den Antrag, einen geeigneten Acker zu mieten. In der verlängerten Ernst-Ludwig-Straße bot sich glücklicherweise eine Gelegenheit dazu in der Nähe der Turnhalle, denn die Geräte mussten immer hin- und hergetragen werden. Leider dauerte die Freude der Turner nicht lange, da der Platz als Bauplatz verkauft wurde. Ein neuer Acker wurde gemietet, der das gleiche Schicksal hatte und so besaß der Verein von 1906 bis 1909 nacheinander vier Äcker, auf denen jedes Mal Laufbahn und Sprunggruben neu angelegt werden mussten. Im Jahre 1910 wandte sich der Turnverein an die Stadtverwaltung und erhielt die Erlaubnis, auf dem städtischen Viehhof zu üben. Der Platz wurde hergerichtet und die Weinrufstraße als Laufbahn benutzt. Hier begann man mit dem Faustballspiel, obwohl der Ball oft in den Ästen der Bäume hängen blieb.

Nach dem Ersten Weltkrieg war es wieder Anton Berghof, der 1920 den Antrag stellte, der Verein möge 15.000 Mark für den Ankauf eines Platzes zur Verfügung stellen. Als die Summe als zu gering angesehen wurde, erhöhte er den Antrag auf 25.000 Mark.

Eine Kommission von fünf Turnern wurde gebildet, um sich geeignete Objekte anzusehen und dem Vorstand Bericht zu erstatten. Erst nach wochenlangen Bemühungen gelang es, ein passendes Gelände zu erwerben. Laut Beschluss der Generalversammlung vom 19. 8. 1920 kaufte der Verein 1.200 Klafter Feld an der Weinheimer Landstraße, um dort einen Turn- und Spielplatz zu errichten. Der Preis betrug 36.000 Mark, von denen 16.000 Mark angezahlt wurden. Der Rest wurde durch Darlehen gegen Gutscheine und durch Schenkungen der Vereinsmitglieder aufgebracht, so dass der gesamte Betrag bezahlt werden konnte und eine spätere Aufwertung nicht mehr in Frage kam.

Die Umwandlung des Ackers in einen vorschriftsmäßigen Turn- und Spielplatz war zunächst schwierig, da das Feld nach einer Seite stark abfiel. Damals wurde jedoch gerade die Hudelmaiersche Schuhfabrik gebaut, und die damit verbundenen Erdbewegungen kamen auch dem Turnplatz zugute. Nach der Einebnung wurden noch mehrere Waggons Schlacke von der Eisenbahn gekauft und eingewalzt, und 1921 konnte der damalige Gau-Oberturnwart Georg Frey den Platz einweihen.

Der eigene Grund und Boden regte nun auch den Gedanken an eine eigene Halle an. Im Jahre 1922 kaufte eine Kommission des Vereins in Mannheim-Käferthal eine Militärbaracke, die auf dem Platz mit einem Betonsockel um 1,50 m in erhöht aufgestellt wurde, einen Wasch- und Umkleideraum sowie eine Galerie und einen Keller enthielt und eine Turnfläche von 20 x 10 m besaß. Für das Reckturnen und die Niedersprünge wurde ein Teil von 10 m Breite und 5 m Tiefe mit Rheinsand ausgefüllt, während der übrige Teil einen neuen Fußboden erhielt. 1923 wurde die Halle in aller Stille durch eine Zusammenkunft der Turner eingeweiht. Vor ihr hatte man schon für die Errichtung einer späteren Festhalle einen Platz von 36 x 18 m vorgesehen.

Die Schaffung eines eigenen Platzes und die Errichtung einer einfachen, aber durchaus brauchbaren Übungsstätte wirkten sich überaus segensreich für die Entwicklung des Turn- und Spielbetriebes aus. Außerdem blieb dadurch ein großer Teil des Vereinsvermögens erhalten und fiel nicht der Inflation zum Opfer. Allen Turnbrüdern, die damals ohne Bezahlung in selbstloser Weise an diesem Werk mitgeschafft haben, sowie allen Spendern und Zeichnern von Anteilscheinen, die ja durch die Inflation nichts zurückerhalten konnten, sei heute nochmals für ihre Mithilfe gedankt. 41 Jahre später, im Jahre 1963, konnte durch den Verkauf dieses Grundstückes als Baugelände die wirtschaftliche Situation des Turnvereins stabili­siert und Zuschüsse für den Bau einer städtischen Turnhalle in spielgerechter Größe geleistet werden.

Während des Zweiten Weltkrieges wurde in der Turnhalle ein Kriegsgefangenenlager untergebracht. Am Ende des Krieges benutzte man die Halle als Auffanglager für die zahlreichen sogenannten „Ostarbeiter“, und als der letzte Transport Alzey verließ, ging die Halle in Flammen auf.

Zurück zu dem Turn- und Spielbetrieb. Anfang der 20er Jahre. Von 1921 an hielt der Turnverein Alzey alljährlich im Saalbau Schau- und Werbeturnen ab, die sich großer Beliebtheit erfreuten. Die erste größere Veranstaltung nach dem Ersten Weltkrieg war das Gau-Frauenturnen, das am 9. und 10. August 1924 auf dem Platz an der Weinheimer Landstraße stattfand. Vom 4. bis 6. Juli 1925 fand dann das 3. und letzte Gauturnfest (Bereich Rheinhessen) in Alzey statt. Wieder diente der Turnplatz, zu dem noch vier Morgen Feld gepachtet wurden, als Wettkampfstätte. Ein stattlicher Festturm von 15 m Höhe wurde nach einem Entwurf von Stadtbaurat Morneweg über die Straße am Festeingang gebaut und nahezu 650 m Umzäunung umgab den Platz. Dieser Festturm ist Motiv des Sonderstempels, der am 1. Juni 1996 anlässlich des 150-jährigen Jubiläums bei der Post in Alzey geführt wurde.

Das letzte Gauturnfest in Alzey reihte sich würdig den vorhergehenden an. 10.000 Teilnehmer besuchten den Festabend auf dem Platz und 25.000 nahmen an den Veranstaltungen des Festsonntags teil.

Anfang der 20er Jahre war auch die Gründungszeit der FECHT-, HOCKEY- und HANDBALLABTEILUNGEN.

Durch die Vielseitigkeit des Übungsbetriebes in den einzelnen Abteilungen nahm die Mitgliederzahl des Vereins von Jahr zu Jahr zu. Am 29. April 1928 wurde ein Städtewettkampf zwischen der Turn- und Sportvereinigung Mainz, dem Turnverein Grünstadt und Alzey durchgeführt, den der Turnverein Alzey dank der guten Durchschnittsleistung und dem vorzüglichen Können seiner Altersturner gewann. Beim Gauturnfest in Bischofsheim im gleichen Jahr errang die Musterriege des Vereins am Barren in der 1. Stärkeklasse sogar den ersten Rang. Leider durfte infolge der Ausscheidungswettkämpfe nur ein Alzeyer Turner, Ernst Doppler, am Deutschen Turnfest in Köln 1928 teilnehmen, der 24. Sieger wurde. Am 5. August 1928 fand ein Gauspieltag im Alzeyer Stadion statt, bei dem Meisterschaftsspiele im Faustball durchgeführt wurden. Am 11. August 1928 wurde Jahns 150. Geburtstag mit einem großen Fackelzug, dem Abbrennen eines Höhenfeuers mit Böllerschießen auf dem Wartberg und einer anschließenden Gedenkfeier in der Stadionhalle festlich begangen.

Auf der Generalversammlung am 9. 2. 1930 wurde der bisherige 1. Vorsitzende Fritz Wolf zum Ehrenvorsitzenden ernannt, während der bisherige 2. Vorsitzende Anton Berghof die Führung des Vereins übernahm, die er bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges behielt.

Am 17. 4. 1932 fand in Alzey ein Gerätewettkampf Bingen-Sprendlingen-Alzey statt, den die Alzeyer Turner gewannen.

Zu einem Höhepunkt in unserem Vereinsleben wurde das 15. Deutsche Turnfest in Stuttgart 1933. Der Verein stellte zu diesem größten Fest der Deutschen Turnerschaft eine Musterriege von 17 Turnern und eine Anzahl Wettkämpfer, von denen die Turner Georg Daum, Georg Wolf, Friedrich Winkes und Ernst Schweigert sowie die Turnerin Maria Hoffmann, die langjährige Leiterin unseres Mädchenturnens, als Sieger in Einzelkämpfen heimkehren konnten.

Die Verbundenheit mit den saarländischen Turnbrüdern war auch während der französischen Besatzungszeit (1920 ‑ 1935) nicht verloren gegangen und viele Saarvereine kamen als Gäste zu den Turnvereinen Westdeutschlands. So hatte der Turnverein Alzey im Juni 1934 den Turnverein St. Ingbert zu Gast, der mit 120 Turnschwestern und Turnbrüdern und einer Bergmannskapelle die Alzeyer begeisterten.

Die Verabschiedung der Ariergesetze durch die Reichsregierung im Jahre 1933 wirkte sich auch schmerzlich innerhalb der Turnerschaft aus. Viele jüdische Freunde durften nicht mehr am Vereinsleben teilnehmen. Der Vorstand versuchte zwar durch viele persönliche Gespräche das Unerbittliche menschlich zu mildern, doch geben die Sitzungsniederschriften die Sprachlosigkeit der Turner über diese unverständliche Anordnung deutlich wieder. Hervorragende Turner, langjährige Freunde wurden vom Sport- und Spielbetrieb ausgeschlossen.

Aus dem alten Gau Rheinhessen war schon im Dezember 1933 der Bezirk Rheinhessen im Gau 13 Südwest einschließlich des Saarlandes entstanden, zu dessen zweite Kreis Worms nun der Turnverein Alzey gehörte. Als 1934 die Deutsche Turnerschaft in den Reichsbund für Leibesübungen überführt wurde, entstand der 9. Kreis Worms-Alzey, der sein 1. Kreisturnfest 1935 in Alzey durchführte.

Im Jahre 1936 feierte der Turnverein Alzey sein 90. Stiftungsfest im Stadion. 24 Militärmusiker des Regiments 116 spielten, Mitglieder der Gauriege nahmen an den turnerischen Vorführungen teil und so wurden am Sonntagnachmittag gute Darbietungen gezeigt, die abends mit einem Militärkonzert abgeschlossen wurden.

1937 übernahm der Turnverein das 1. Kreisfest des Kreises 8 Nibelungen, dessen technische Durchführung erheblich dadurch erschwert wurde, dass nun alle Sportarten vertreten waren. Trotzdem wurde das Fest reibungslos abgewickelt. Im Jahre 1938 nahmen außer etwa 15 Teilnehmern drei Turner als Wettkämpfer am Deutschen Turnfest in Breslau teil, die alle Sieger wurden: Rudi Seitz im 10-Kampf, Georg Wolf im 9-Kampf und Friedrich Winkes im 3-Kampf.

Während des Zweiten Weltkrieges wurde der Turnbetrieb weitergeführt. Doch nach Kriegsende löste die französische Besatzungsmacht alle Turnvereine auf und verbot die Ausübung des Turnens und Fechtens.

Bereits im Jahre 1945 fanden sich in der Gaststätte „Zum Reichstag“ die ersten Mannschaftssportler zusammen und legten den Grundstein für die Fortführung ihrer Sportarten im dann danach genehmigten „SPORT- UND SPIELCLUB 1846 ALZEY“ SSC. Die Teilnehmer seitens des Turnvereins waren die Freunde Georg Arnold, Fritz Curschmann, Hans Harth, Walter Meyer und Walter Wettig. Erst im Jahre 1946 wurde dann durch den Beitritt der Schwimmer des SC „Neptun“ der „Sport- und Schwimmclub 1846 Alzey“.

Der“Sport- und Schwimmclub 1846″, unter dem Zwang der Verhältnisse entstanden, konnte für die Turner nur das Ziel haben, eine hundertjährige Tradition zu bewahren und zu gegebener Zeit fortzuführen. Hermann Lahr, seit 1939 1. Vorsitzender des Turnverein Alzey, übernahm die Leitung des neuen Vereins. Ludwig Fritz, der langjährige Kassenwart, der während des Krieges den gesamten Turnbetrieb aufrechterhalten hatte, wurde 1. Vorsitzender des „Sportausschusses“. Erst nach drei Jahren wurde die Turnsperre aufgehoben und das Wort“Turnen“ durfte wieder ausgesprochen werden. 1948 konnte Ludwig Fritz als Vertreter der Turnabteilung in den Vorstand gewählt werden und im gleichen Jahr nahmen Alzeyer Turner als Zuschauer am Deutschen Turnfest in Frankfurt und an der Historischen Feier in der Paulskirche teil. Eine Versammlung der Schwimmabteilung, die den alten Schwimmclub“Neptun“ wieder ins Leben rufen wollte, fand am 3. Dezember 1949 statt. Aber erst am 2. Mai 1950 erfolgte die amtliche Auflösung des Sport- und Schwimmclubs und die NEUGRÜNDUNG des TURNVEREIN ALZEY. Obwohl die Zusammenlegung des Turnvereins Alzey und des Schwimmclubs Neptun von der französischen Militärbehörde verfügt wurde, war die Zusammenarbeit nicht nur in den Jahren der „Zwangsehe“ freundschaftlich und kooperativ. Dies setzte sich nicht nur jahrelang fort in der gemeinsamen Durchführung von gesellschaftlichen Veranstaltungen wie z. B. Maskenbälle und Martinibälle sondern auch in gut nachbarschaftlichem Miteinander.

Am 16. April 1950 hatte der neuerstandene Rheinhessische Turnerbund seinen ersten Landesturntag in Alzey abgehalten. Das 1. Rheinhessische Landesturnfest in Wöllstein 1950 sah auch schon Alzeyer Turnerinnen und Turner als Teilnehmer und war mit seinem glänzenden Verlauf ein verheißungsvoller Anfang zu neuem turnerischen Leben. Nach langwierigen Verhandlungen konnte endlich im September 1950 in Tübingen die Gründung des Deutschen Turnerbundes bekanntgegeben werden. Es ist das Verdienst seines 1. Vorsitzenden Dr. Walter Kolb, damit die Einheit aller Turner wieder erreicht zu haben.

Nach seiner Rückkehr aus dem Kriege hatte Rudi Seitz sein Amt als Oberturnwart des Vereins wieder übernommen und sich vor allem dem Turnen gewidmet. Unterstützt von dem früheren Männerturnwart Philipp Klein und Leiterinnen und Leitern der Kinder-und Jugendabteilungen, Frau Winkes, Lilo Roll, Klaus Kotysch und Adolf Görtz, gab es auch hier eine erfreuliche Entwicklung, die in zahlreichen Siegen bei Landes-, Gau-und Kinderturnfesten zum Ausdruck kam. Als 1953 das Deutsche Turnfest in Hamburg gefeiert wurde, erlebten auch zwanzig Alzeyer Turnerinnen und Turner die Festtage in der alten Hansestadt und vier von ihnen kamen mit einem Turnierfestsieg zurück.

Da die 100-Jahrfeier des Turnvereins, bedingt durch die Nachkriegsverhältnisse, im Jahre 1946 nicht der Tradition entsprechend gefeiert werden konnte, beging man das 110-jährige Bestehen am 2. Juni 1956 mit einem großen Festabend in der Stadthalle, dem am folgenden Tage Stadtstaffeln und ein Festzug zum Wartbergstation folgten. Alle Abteilungen zeigten Ausschnitte aus ihrer Arbeit und gaben den Zuschauern einen Eindruck von der Vielseitigkeit eines modernen Turnvereins.

In der Generalversammlung im Jahre 1956 wurde Philipp Wieland, der auch schon 1925 zu den Gründern der Handballabteilung gehörte, als Nachfolger von Hermann Lahr zum 1. Vorsitzenden gewählt. Diese Wahl war nicht überraschend, da Philipp Wieland seit Anfang der 30er Jahre als Schriftführer dem Vorstand ange­hörte. Er führte den Turnverein bis 1978 und war damit nahezu 50 Jahre an führender Stelle des Turnvereins Alzey tätig. Ohne Übertreibung kann man daher feststellen, dass er und Anton Berghof ein Leben lang dem Turnverein Alzey gedient haben.

Ein weiterer Höhepunkt des Vereinslebens war das 5. Landesturnfest des Rheinhessischen Turnerbundes, das vom 1. bis 3. 7. 1960 in Alzey stattfand. Nach der feierlichen Eröffnung im Schlosshof am Abend des 1. Juli und einem Fackelzug zum Stadion wurden am 2. 7. die Wettkämpfe durchgeführt, an die sich ein Festabend in der Stadionhalle anschloss. Ein Festzug durch die Stadt und ein Festnachmittag im Stadion beendeten dieses Landesturnfest, zu dessen Gelingen alle Mitglieder des Vereins beigetragen hatten. 120 Schweizer Turner vom Bürgerturnverein Luzern unter der Leitung von Weltmeister Sepp Stalder nahmen an allen Veranstaltungen teil und gaben dem Fest eine besondere Note.

Der Mangel an geeigneten Übungsstätten und die steigende Mitgliederzahl veranlassten den Verein zu einem Schritt, der in seiner Bedeutung für das turnerische und sportliche Leben in Alzey gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Da der Turnverein seine bei Kriegsende zerstörte Halle aus eigener Kraft nicht wieder aufbauen konnte, verkaufte er den früheren Turnplatz an der Weinheimer Landstraße als Baugelände für 50.000 DM und gab dieses Geld – d. h. sein gesamtes Vermögen – mit weiteren 50.000 DM, die der Handballverband dem Turnverein stellte, der Stadt Alzey als verlorenen Baukostenzuschuss für die Errichtung einer großen Sporthalle. Diese wurde im Frühjahr 1963 fertiggestellt und mit ihr begann auch für Alzey die Ära der Hallenspiele.

Im Jahre 1964 wurde eine VERSEHRTENSPORTGRUPPE gegründet, deren Mitgliederzahl schnell zunahm und die bald große Erfolge im Prellball- und Sitzballturnieren aufweisen konnte. Es folgten die Gründungen einer BASKETBALL- und VOLLEYBALLABTEILUNG.

Neben den Abteilungen, die überwiegend Leistungssport im Spielbetrieb der Fachverbände betreiben, erfreuten sich die Hausfrauengymnastik und das Jedermannturnen zunehmender Beliebtheit. Die Vielseitigkeit des Übungsbetriebes ermöglichte es jedem, sich seinen Neigungen entsprechend zu betätigen.

Wie bereits erwähnt, führte Philipp Wieland den Turnverein bis 1978 und übergab aus Altersgründen den Vorsitz seinem bisherigen Stellvertreter Gerhard Schiebener.

In der Ära Wieland und Schiebener war Adolf Görtz seit 1956 als Oberturnwart tätig. Wie vor ihm Rudi Seitz war Adolf Görtz der geistige Vater aller turnerischen Aktivitäten. Er verstand es, einen Kreis von Übungsleitern auszubilden und zu motivieren, ohne den ein geordneter Übungsbetrieb mit steigenden Teilnehmerzahlen nicht möglich ist. Inge Klippel, Georg Gerstmann, Horst und Doris Vögeli, Klaus Kottysch, Adolf Schäfer, um nur einige zu nennen, erarbeiteten die Grundlage für eine Reihe schöner Erfolge der Alzeyer Turnerinnen und Turner.

Im Jahre 1976 wurde die Mitgliederkartei auf EDV übernommen. Dies war der entscheidende Schritt um die Mitgliedschaft in den verschiedenen Abteilungen zu koordinieren.‘

1989 wurde das Rheinhessische Landesturnfest vom Turnverein Alzey ausgerichtet, bei dem einige Tausend Teilnehmer anreisten. Ein großer Teil der Teilnehmer übernachtete in den Schulen. Die Verpflegung wurde in einem großen Festzelt, welches im Schulhof des Elisabeth-Langgässer-Gymnasiums aufgestellt war, vorgenommen. Der Abschluss des Landesturnfestes war wiederum ein großer Festzug durch die Stadt zum Stadion, wo die Schlussveranstaltung ein farbenprächtiges Bild des Turnens zeigte.

Im Sommer 1993 wurde dem Turnverein Alzey die Durchführung der Rheinland-Pfalz-Meisterschaften in der Rhythmischen Sportgymnastik übertragen. Diese Veranstaltung fand in den Medien ein hervorragendes Echo. In dieser Zeit fand auch das Gau-Kinderturnfest in Alzey statt, an dem sich eine große Zahl junger Turnerinnen und Turner beteiligten.

Die Teilnahme von Alzeyer Turnerinnen und Turnern an den Deutschen Turnfesten war zu allen Zeiten Ehrensache. Mit einer großen Zahl von Teilnehmern besuchten sie die Deutschen Turnfeste 1973 in Stuttgart, 1978 in Hannover, 1983 inFrankfurt, 1987 in Berlin, für viele ein unvergeßliches Erlebnis, 1990 in Bochum, Dortmund und 1994 in Hamburg. 1998 findet das Deutsche Turnfest in München statt.

Im Jubiläumsjahr richtete der Turnverein den L-Stufen Wettkampf am 10. 3. 1996 und das Hallenkinderturnerfest am 24. 03. 1996 in der Rundsporthalle in Alzey aus.